Wie sieht die ärztliche Versorgung aus? Podiumsdiskussion in Filderstadt.

Wie sieht es mit der ärztlichen Versorgung aus? Ist sie auch noch in Zukunft sicher? Fragen zu diesem Themenbereich beantwortete eine Expertenrunde am Donnerstagabend im Mörikesaal in Filderstadt-Plattenhardt.

Hausarzt: Niedergelassene Ärzte investieren viel Arbeit und Herzblut in ihre Praxis, die wie ein Kleinunternehmen geführt werden muss. Viele scheuen die Regressgefahr. Gerade der Hausarzt trifft viele wichtige Entscheidungen gemeinsam mit dem Patienten. Das ist eine sehr hohe Verantwortung. Hausärzte sind laut Kenntner eine aussterbende Gattung. Im letzten Jahr entschieden sich von 5200 Ärzten nur 238, sich als Hausarzt niederzulassen. Im Augenblick sind 35 % der Hausärzte über 60 Jahre alt. Nur 3% sind unter 40 Jahre alt. Die Tendenz der Ärzte, lieber im Angestelltenverhältnis zu arbeiten, ist steigend.  Der klassische Hausarzt mit Herzblut, so Plötze, ist in der Zukunft ein Auslaufmodell. Die 25 Stundenforderung, so Metke, gilt eigentlich im restlichen Deutschland, aber nicht in BW, denn hier arbeiten die Ärzte bereits meistens mehr als 50 Stunden in der Woche. Es geht aber nicht, dass ein Arzt einen Sitz belegt und dann nicht einmal 25 Stunden Dienst anbietet.

Studium: Breitkreuz gibt zu bedenken, dass inzwischen 65% der Medizinstudierenden weiblich sind. Darauf muss die spätere Arbeitswelt im Krankenhaus reagieren: Teilzeitarbeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der NC für den Studienplatz sollte nicht ausschlaggebend sein. Was macht einen guten Arzt heute aus? Natürlich Fachwissen, aber auch Empathie und einfühlsamer Umgang mit dem Patienten.

Krankenhaus: Im internationalen Vergleich gibt es in Deutschland zu viele Krankenhäuser. Die Bevölkerungszahl von NRW ist so groß wie in den Niederlanden. NRW hat 390 Krankenhäuser, die Niederlande 170. In Schweden gibt es pro 100 000 Einwohner 33 Krankenhausbetten, in Deutschland gibt es 88, in Baden-Württemberg 60. Die Qualität ist in Schweden gleich oder gar besser in weniger Krankenhäusern, aber mit mehr Personal. Der medizinische Fortschritt ist technisch so hoch entwickelt, dass damit nicht jedes Krankenhaus sinnvoll ausgestattet werden kann.

Wartezeit auf Facharzttermine: In Deutschland gibt es sehr viele Patientenkontakte. Bei 9 Millionen Versicherten in BW, so Metke, gibt es pro Jahr 60 Millionen Gesundheitsfälle, darunter 31 Millionen Fälle bei Fachärzten. Der Fortschritt nimmt zu, so Kenntner, die Patienten werden anspruchsvoller und der Anforderung an den Facharzt steigt deutlich.

Terminvergabe: KV vermittelt Termine innerhalb von drei Wochen, die auch vergütet werden. Viele Ärzte haben nicht mehr angenommen, wenn sie ihr Budget überschritten haben.

Fachärztemangel: Zuwanderung aus dem Ausland, so Breitkreuz, ist wichtig und findet zurzeit vor allem in strukturschwachen Regionen und in Ostdeutschland statt. Oft gibt es nicht nur ein Sprachproblem, sondern unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten treffen bei Arzt und Patient aufeinander. Die deutsche Medizin wird in Zukunft auf Zuwanderung angewiesen sein.

MVZ Medizinische Versorgungszentren: Die Politik, so Hennrich, muss die richtige Balance zwischen Regulierung und Freiheit finden, um das grundlegende Versorgungsangebot auf Dauer bieten zu können, aber gleichzeitig Kapitalinvestoren in Schach zu halten, die anderes im Sinn haben. Die medizinische Versorgung muss im Fokus sein. MVZs bieten, so Hennrich, unterschiedliche Disziplinen unter einem Dach und ermöglichen Ärzten die Arbeit im Angestelltenverhältnis. Filderstadt hat schon ein kleines MVZ, das an die Filderklinik angegliedert ist.

Telemedizin: Bagatellmedizin über Tele wird in der Schweiz erfolgreich praktiziert. Bei 50 Anrufen pro Tag, so Metke, eignen sich 10 Anrufe zur Telemedizin. Bei 40000 Anrufen im Quartal werden 10 000 an die Telemedizin weitergeleitet.

Personal: Die hohe Arbeitsdichte, der hohe Stressfaktor, nichts falsch machen zu dürfen, sowie die oft fehlende Sinnhaftigkeit im Arbeitsalltag, so Breitkreuz, belasten Ärzte und Pflegepersonal gleichermaßen. Es werden genügend ausgebildet, viele verschwinden aber wieder. Arzthelfer*innen oder OP-Schwestern sind inzwischen Mangelware.

Zukunftsweichen: Die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten muss verbessert werden ebenso die bislang noch sehr mangelhafte Vernetzung der Ärzte untereinander. Der Teamgedanke zwischen Ärzten und anderen Heilberufen wie  z.B. Physiotherapeuten oder Physician Assistant muss nach ausländischem Vorbild gestärkt werden. Sichere Arzneimittelversorgung mit Produktionsstätten in Europa für die Zukunft. Arbeitsalltag des medizinischen Personals mit hoher Empathie und Sinnhaftigkeit ausstatten, damit in der Medizin mit Freunde gearbeitet wird und man sich nicht mehr wie im Hamsterrad fühlt.

Die Schlussbemerkung eines Zuhörers bringt es auf den Punkt: „Der Besuch hat sich gelohnt.“

Veranstaltet wurde die Podiumsdiskussion von der Senioren CDU im Landkreis und der CDU Filderstadt. Vielen Dank an alle Beteiligten.

 

Teilnehmer: Dr. Georg Kenntner, Arzt für Allgemeinmedizin / Dr. Thomas Breitkreuz, Ärztlicher Direktor Filderklinik / Michael Hennrich, MDB Gesundheitsausschuss im Bundestag / Dr. Norbert Metke, Vorsitzender Kassenärztliche Vereinigung BW, Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer Barmer.

Text/Bild: Hedy G. Barth-Rößler, Stv. Vor. Stadtverband Freie Wähler Filderstadt e.V.